Heute genau ist seit einem Jahr Krieg in der Ukraine, Putins Russland hat das Nachbarland überfallen um es als Staat auszulöschen und dem russischen Reich einzuverleiben.
Ich habe 1984 den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert. Aus einer christlichen Grundmotivation heraus hat sich bei mir in Kindheit und Jugend ein Pazifismus entwickelt, der mein Leben, meine Existenz bis heute prägt. Schon als Schüler hatte ich aber auch meine Probleme mit den berühmten Fragen, die damals bei der Verhandlung im Kreiswehrersatzamt gestellt wurden, siehe das wunderbare BAP-Leed „Stell dir vüür“:
Stell dir vüür, du wöörs em Wald un hätts en Axt bei.
Stell dir vüür, ding Frau wöör och dobei.
Stell dir vüür, ne Kääl köhm, jöhv ihr Schokolädche,
dä tröök e Mezz eruss un jing ihr an de Bein.
Jo, wat däätste dann?
Däätste maache Mann?
Saach mer, wehrste dich?
Oder leetzte dann ding Frau em Stech?
Die Situation, in der sich heute die Ukraine und Europa, die Welt befinden, sind mit diesen Szenarien durchaus abgedeckt. Damals wurden wir als junge Männer von 18, 19 Jahren mit absurden Situationen konfrontiert, die ein scheinbar unauflösbares Dilemma verdeutlichten. Wie kann man eine pazifistische Grundhaltung gegenüber rücksichtslosen, empathielosen, brutalen Aggressoren durchhalten?
Ich kann für ich persönlich nach wie vor sagen, dass ich Gewalt ablehne. Ich kann sagen, dass ich nicht zum Aggressor werde, werden will. Ich habe meine Kinder zur gewaltfreien Konfliktlösung erzogen und diese geben das an unsere Enkel weiter. Es bleibt die Hoffnung auf eine friedliche Welt.
Aber wo nun diese Gewalt in unsere Welt einbricht, da ist das Recht, sogar die Pflicht zur Verteidigung plötzlich vorhanden. Der Aggressor darf nicht Recht durch Gewalt bekommen. Da müssen wir alle beieinanderstehen und uns unterstützen. Es ist mir zu kurz gegriffen, wenn damit argumentiert wird, dass ganz Europa bedroht ist, dass der Krieg auch nach Deutschland kommen kann, dass unser Wohlstand und unsere Energiesicherheit etc. gefährdet sind. Nein, das sind alles utilitaristische Argumente, die nachvollziehbar sind und es vereinfachen (oder auch erschweren), der Ukraine beizustehen. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres: Der Beistand für die Ukraine ist eine Menschheitspflicht. Ein Land wird ungerechtfertigt von Krieg überzogen, die Argumentation des Angreifers ändert sich stetig. Mittlerweile hat Putin seine Maske abgelegt und spricht offen von seinen Träumen eines großrussischen Reichs. Die Ukraine ist aus seiner Sicht nie existent gewesen, da sie immer nur eine russische Provinz war.
Stell dir vüür, das würde auf der ganzen Welt jeder machen: Italien restauriert das römische Reich, Deuschland (oder auch Frankreich) das Reich Karl des Großen, Iran oder Irak das babylonische Reich, die Türkei das persisches Großreich zur Zeit des Kyros. Das funktioniert in allen Regionen der Welt durch alle Zeiten – Nicht!
Es gibt keine historischen Reiche, keinen „angestammten Lebensraum“, keine Rassen, kein Blut und Ehre. Es gibt nur Menschen, Staaten, Verfassungen.
Insofern ist die Lieferung auch von schweren Waffen zur Verteidigung des eigenen Staates auf dem Grund des eigenen Staates nicht nur erlaubt, sondern geboten.
Der Aufruf der Damen Wagenknecht und Schwarzer ist ein aus pazifischer Grundhaltung erwachsener Versuch, den Frieden, Verhandlungen herbeizuführen. Allerdings ist die Situation leider eine andere: Die Ukraine ist einer Frau vergleichbar, die von einer Horde Männer vergewaltigt wird und der nun von ihren Geschlechtsgenossinnen zugerufen wird, sie solle sich doch nicht wehren, da sie nicht alle besiegen kann. Es ist besser, die Gewalt, die massive Verletzung der eigenen körperlichen Unversehrtheit weiter zu ertragen und mit den Angreifern friedlich und unterwürfig Kompromisse auszuhandeln. Vielleicht erlaubt man bestimmte Übergriffe auf ausgewählte Körperregionen zu bestimmten Zeiten weiterhin?
Nein, es gibt eine eindeutige Unrechtssituation mit einem Angreifer und einem Angegriffenen. Der Angegriffene hat das Recht und die Pflicht, sich zu verteidigen. Und wir haben die Pflicht, dabei zu unterstützen.
Ich als Pazifist, der ich immer noch bin, erschrecke vor meiner aufwachsenden Sympathie für unsere Bundeswehr, die Staatsbürger in Uniform. Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe für mich persönlich den Kriegsdienst immer ausgeschlossen, diesen aber nicht grundsätzlich abgelehnt. Und ich bin froh, dass ich nie in der Situation war, mich entscheiden zu müssen, ob ich auch gegen meine Überzeugungen zur Waffe greifen würde um mein Land und meine Lieben zu verteidigen.
Und stell dir vüür, das hätte ich vermutlich sogar getan.
Jetzt sieht unsere Solidarität vor Ort konkret so aus, dass wir Menschen aus der Ukraine aufnehmen, gerne aufnehmen. Dass wir uns um die Kinder in der Schule täglich kümmern, Lehrerinnen hier beschäftigen und versuchen, Heimat zu geben.
Davon handelt auch mein Leed „Köche-Bluus“, von der Solidarität eines Pazifisten, die zwar nicht die Welt im Großen rettet, aber da hilft und da ist, wo sie kann.